Der Derwisch und der Tod by Meša Selimović
Autor:Meša Selimović [Meša Selimović]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Zweiter Teil
10
Unglücklich wird sein, wer seine Seele beschmutzt.
Es war ein Kind, das sprach von seiner Angst, vor langer Zeit. Es glich einem kleinen Lied:
Auf dem Dachboden,
da ist ein Balken, der schlägt dir auf den Kopf,
da ist ein Wind, der klappert mit den Fensterläden,
da ist eine Maus, die lugt aus der Ecke.
Sechs Jahre zählte er, mit fröhlichen blauen Augen schaute er verzückt auf die Soldaten, auch auf mich, den jungen Derwisch-Soldaten. Wir waren Gefährten und Freunde, ich meine, noch niemanden so sehr geliebt zu haben; immer sah ich ihn mit Freude und ließ ihn nie spüren, daß ich der Altere sei.
Es war Sommer, Regen und Hitze wechselten miteinander, wir lebten in Zelten, auf einer Ebene voller Mücken und Froschgequake, eine Wegstunde von der Save, nahe einer ehemaligen Herberge, wo der Kleine mit der Mutter und der halbblinden Großmutter wohnte.
Seit dem Frühjahr lagen wir hier fest, schon den dritten Monat, von Zeit zu Zeit griffen wir den Feind an, der sich am Flußufer eingenistet hatte. Anfangs hatten wir hohe Verluste, dann hielten wir uns zurück, wir sahen ein, daß wir mit unseren Kräften gegen ihn nichts ausrichten konnten, und die Truppen, die uns hätten helfen sollen, kämpften auf Gott weiß was für Kriegsschauplätzen des weiten Reiches, so blieben wir in der Ebene stecken, einer dem anderen ein lästiges Hindernis.
Die Zeit dehnte sich quälend. Die Nächte waren schwül, die Ebene atmete leise im Mondlicht wie ein Meer, unzählige Frösche in unsichtbaren Sumpflöchern trennten uns mit ihren durchdringenden Stimmen von der übrigen Welt, ertränkten uns mit schrecklichem, dröhnendem Quaken, dem erst die nebelige Morgendämmerung Einhalt gebot, während weiße und graue Ausdünstungen über uns wogten wie zu Anbeginn der Welt. Am schwersten zu ertragen war die genaue Regelmäßigkeit, mit der sich dieser Wechsel vollzog, seine Unausweichlichkeit.
Gegen Sonnenaufgang wurden die Nebel rosig, und es begann annehmlicher zu werden – ohne Feuchte und Schwüle, ohne Mücken, ohne die Qual des nächtlichen Halbwachseins. Wir fielen dann in einen brunnentiefen Schlaf.
Wenn es regnete, war es noch schlimmer, der Gesichtskreis verengte sich, wir hockten gedrängt beieinander und schwiegen, gemartert von der Kälte, als hätte eben der Winter begonnen, oder wir erzählten uns etwas, ganz gleich was, oder sangen, reizbar und gefährlich wie Wölfe. Die Zeltbahnen schlugen durch und besprengten uns mit grauem Regen, Wasser quoll unter unseren Schlafplätzen hervor, die Erde verwandelte sich in einen unbegehbaren Sumpf, und wir saßen gefangen in unserer Not, als wäre es für immer.
Die Soldaten tranken, würfelten unter einer aufgespannten Decke, stritten und schlugen sich. Es war ein Hundeleben, das ich nach außen hin ruhig hinnahm, mit nichts verratend, daß es mir schwerfiel, unbeweglich, auch wenn der Regen mich durchnäßte, unbeweglich, auch wenn sich das Zelt in ein Irrenhaus verwandelte, in einen Käfig voll wilder Tiere; ich zwang mich, alles Häßliche und Schwere wortlos zu ertragen; ich war jung und meinte, es sei ein Teil des Opfers, dabei wußte ich, es war häßlich und schwer. Als Bauer und als Geistlicher zuckte ich bei jedem Fluch und jedem häßlichen Wort, bis ich endlich begriff, daß die Soldaten sie gebrauchten, ohne in ihnen etwas Ungehöriges zu sehen.
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